Keine Verpflichtung zur Prüfung des Status des wirtschaftlichen Eigentümers bei der Dividendenbefreiung – Urteil des polnischen Obersten Verwaltungsgerichts (NSA)
In den letzten Jahren gab es zahlreiche Streitigkeiten zwischen Steuerpflichtigen und Steuerbehörden über das Recht auf eine Quellensteuervergünstigung, einschließlich der Verpflichtung zur Überprüfung des Status des wirtschaftlichen Eigentümers (engl. beneficial owner, BO ) von Subjekten, die Dividenden erhalten. Dies ist eine der problematischsten Fragen im Bereich der Quellensteuer (WHT).
In seinem Urteil vom 9. Oktober 2024 (Az. II FSK 78/22) entschied das polnische Oberste Verwaltungsgericht (NSA) zugunsten der Steuerpflichtigen. Es stellte fest, dass eine polnische Gesellschaft, die Dividenden an einen ausländischen Anteilseigner ausschüttet, nicht verpflichtet ist, zu überprüfen oder nachzuweisen, dass der Empfänger der Dividenden der wirtschaftliche Eigentümer ist.
Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte im Zusammenhang mit der Pflicht zur Prüfung des Status des wirtschaftlichen Eigentümers der Dividende dargelegt.
Hintergrund der Sache – worum ging es in dem Streitfall?
Der Fall betraf ein polnisches Unternehmen, das im Bereich der Tiergesundheit tätig war. Sein einziger Anteilseigner war eine in den Niederlanden eingetragene Gesellschaft, die in diesem Land steuerlich ansässig und Mitglied der Europäischen Union war. Die wesentlichen Fakten, die von der Gesellschaft vorgelegt wurden, lauteten wie folgt:
- Geschäftsbeziehungen zwischen den Unternehmen: Der niederländische Anteilseigner hielt seit über zwei Jahren ununterbrochen 100 % der Anteile an der polnischen Gesellschaft. Diese Anteile waren nicht mit dinglichen Rechten belastet oder durch Vereinbarungen eingeschränkt, die die wirtschaftliche Macht des Anteilseigners begrenzen könnten.
- Empfänger der Dividende: Der Anteilseigner war unbestritten der rechtliche Eigentümer der Dividenden und war nicht verpflichtet, die Mittel an Dritte weiterzuleiten.
- Geplante Ausschüttungen: Die Dividende sollte in einer oder mehreren Tranchen ausgezahlt werden und könnte den Schwellenwert von 2 Mio. PLN überschreiten, was den in Artikel 28b KStG beschriebenen „ pay-and-refund-Mechanismus “ auslösen würde.
Fragen zur Auslegung
Um sich abzusichern, hat das Unternehmen den Direktor des Landesbüros für Finanzinformationen (KIS) um eine Auslegung der Vorschriften gebeten. Es stellte zwei Schlüsselfragen:
- Muss das Unternehmen im Falle einer Dividendenausschüttung, um die Befreiung gemäß Artikel 22 Absatz 4 KStG in Anspruch nehmen zu können, nachweisen, dass sein Aktionär der wirtschaftliche Eigentümer der Dividende ist?
- Ist das Unternehmen bei der Beantragung einer Erstattung der Quellensteuer (WHT) auf den Teil der Dividenden, der 2 Mio. PLN übersteigt, verpflichtet, eine Erklärung über den Status des wirtschaftlichen Eigentümers vorzulegen, selbst wenn dieser Status keine Voraussetzung für die Befreiung gemäß Artikel 22(4) ist?
Nach Ansicht des Unternehmens verlangen die Vorschriften des KStG nicht, dass der Empfänger der Dividende den Status des wirtschaftlichen Eigentümers hat, sowohl um die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen zu können als auch um eine Erstattung zu beantragen. Das Unternehmen argumentierte, dass die Vorschriften über die Steuerbefreiung (Artikel 22 Absatz 4) und die Steuererstattung (Artikel 28b) getrennt und unabhängig voneinander sind und die Bedingungen des einen nicht auf das andere ausgedehnt werden können.
Standpunkt des Landesbüros für Finanzinformationen (KIS)
In seiner Auslegung hält der Direktor des Landesbüros für Finanzinformationen (KIS) den Standpunkt des Unternehmens für unzutreffend und verweist auf die folgenden Argumente:
- Die Behörde vertrat die Auffassung, dass der Steuerpflichtige verpflichtet ist, den Status des wirtschaftlichen Eigentümers der Dividende sowohl bei der Anwendung der Steuerbefreiung nach Artikel 22 Absatz 4 KStG als auch im Rahmen der in den Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung vorgeschriebenen Sorgfaltspflicht zu überprüfen.
- Bei der Beantragung einer Steuererstattung nach Artikel 28b muss der Steuerpflichtige eine Erklärung vorlegen, die den Status des wirtschaftlichen Eigentümers der Dividende bestätigt. Nach Ansicht der Behörde stehen diese Vorschriften in engem Zusammenhang mit den Bestimmungen über Steuerbefreiungen und sollten gemeinsam angewendet werden.
Entscheidungen des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts und des Obersten Verwaltungsgerichts
Der Fall wurde zunächst vom Woiwodschaftsverwaltungsgericht (WSA) in Warschau überprüft, das in einem Urteil vom 20. September 2021. (Az. III SA/Wa 562/21) die Auslegung des Direktors des Landesbüros für Finanzinformationen aufhob.
Woiwodschaftsverwaltungsgericht entschied Folgendes:
- Artikel 22 Absatz 4 KStG enthält keine Verpflichtung für den Steuerpflichtigen, den Status des wirtschaftlichen Eigentümers zu prüfen. Nach Ansicht des Gerichts bietet eine wörtliche Auslegung der Vorschriften keinen Grund, die Pflichten des Steuerpflichtigen auf die Überprüfung einer Voraussetzung auszuweiten, die im Gesetz nicht ausdrücklich genannt ist.
- In Bezug auf das Verfahren zur Erstattung der Quellensteuer (Artikel 28b KStG) stellte das WSA fest, dass, da bei der Ausschüttung von Dividenden keine Überprüfung des Status des wirtschaftlichen Eigentümers erforderlich ist, auch im Steuererstattungsverfahren keine solche Überprüfung erforderlich ist. Das Gericht betonte, dass die Bestimmungen über die Steuerbefreiung und die Steuererstattung einheitlich ausgelegt werden sollten.
Die Steuerbehörde legte gegen das Urteil des WSA Kassationsbeschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht (NSA) ein.
In einem Urteil vom 9. Oktober 2024 (Az. II FSK 78/22) teilte das NSA den Standpunkt des WSA zur Dividendenbefreiung. Das Gericht entschied Folgendes:
- Dividendenbefreiung: Bei der Anwendung der Steuerbefreiung nach Artikel 22 Absatz 4 KStG ist der Dividendenempfänger nicht verpflichtet, den Status des wirtschaftlichen Eigentümers zu überprüfen. Das NSA bestätigte, dass sich eine solche Verpflichtung nicht aus der Gesetzgebung ergibt, und die Auslegung, die sich aus früheren Urteilen von Verwaltungsgerichten ergibt (z. B. WSA in Warschau und andere NSA-Urteile), stützt diese Auffassung.
- Steuererstattung: Das NSA vertrat die Auffassung, dass die Bestimmungen von Artikel 28b KStG eigenständig sind und sich nicht direkt aus den Vorschriften zur Steuerbefreiung ergeben. Daher muss ein Steuerpflichtiger, der eine Steuererstattung beantragt, alle in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen erfüllen, einschließlich der Vorlage einer Erklärung über den Status des wirtschaftlichen Eigentümers des Dividendenempfängers. Das Fehlen dieses Dokuments macht es unmöglich, dem Antrag stattzugeben.
In Bezug auf Steuererstattungen vertrat das NSA jedoch einen anderen Standpunkt:
Das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts unterscheidet klar zwischen der Steuerbefreiung und -erstattung einer Überzahlung und weist auf die unterschiedlichen Pflichten des Steuerpflichtigen in jedem dieser Verfahren hin.
Zusammenfassung
Mit dem Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2024 (Az. II FSK 78/22) wurde eine wichtige Unterscheidung zwischen den Pflichten des Steuerpflichtigen im Verfahren zur direkten Befreiung von Dividenden vom Steuerabzug und im Steuererstattungsverfahren eingeführt. Das NSA bestätigte Folgendes:
- Dividendenbefreiung: Für Zahlungen, die 2 Mio. PLN nicht überschreiten, besteht keine Verpflichtung, den Status des wirtschaftlich Eigentümers des Dividendenempfängers zu überprüfen, da sich eine solche Verpflichtung nicht aus Artikel 22 Absatz 4 KStG ergibt.
- Rückerstattung der Steuer auf den 2 Mio. PLN übersteigenden Betrag: Beim Einsatz des „Pay-and-Refund-Mechanismus“ gemäß Artikel 28b KStG muss der Steuerpflichtige die erforderlichen Dokumente vorlegen, einschließlich der Erklärung des Dividendenempfängers zum Status des wirtschaftlichen Eigentümers.
Um Risiken zu minimieren, sollten Steuerpflichtige:
- Besondere Vorsicht bei der Ausschüttung von Dividenden walten lassen, insbesondere bei Dividenden, die den Schwellenwert von 2 Mio. PLN überschreiten.
- Vollständige Unterlagen sammeln, insbesondere für Steuererstattungsverfahren.
- Die Entwicklung der Rechtsprechung und die Auslegung der Quellensteuervorschriften verfolgen.
Letztlich kann dieses Urteil ein wichtiger Bezugspunkt für künftige Gerichtsentscheidungen werden, aber die Prüfung des Status des wirtschaftlichen Eigentümers bleibt eine der problematischsten Fragen im Bereich der Quellensteuer.
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