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Mehrwertsteuerbefreiung und Zollpflichten – der EuGH zum Reimport von Waren

Mehrwertsteuerbefreiung und Zollpflichten – der EuGH zum Reimport von Waren

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Datum08 Juli 2025

Im System der EU-Mehrwertsteuerspielt die Mehrwertsteuerbefreiung eine wichtige Rolle – sie entlastet Unternehmen in bestimmten Situationen, insbesondere bei grenzüberschreitenden Transaktionen. Ein solcher Fall ist die Wiedereinfuhr von Waren, die zuvor rechtmäßig aus dem Gebiet der EU ausgeführt wurden. Doch führt jeder formale Fehler bei der Wiedereinfuhr automatisch zum Verlust des Rechts auf Mehrwertsteuerbefreiung?

Der Gerichtshof der Europäischen Union beantwortete diese Frage in seinem Urteil vom 12. Juni 2025 in der Rechtssache C‑125/24 Palmstråle. Dieses Urteil klärt, wie Fälle zu behandeln sind, in denen formelle zollrechtliche Verpflichtungen verletzt wurden, aber die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung einer Steuervergünstigung dennoch erfüllt sind.


Hintergrund des Falls – wie kam es zum Streit?

Das Verfahren vor dem EuGH betraf eine schwedische Unternehmerin – eine Besitzerin von Sportpferden –, die ihre Tiere vorübergehend nach Norwegen (ein Drittland) ausgeführt hatte, um an Wettbewerben teilzunehmen. Nach der Veranstaltung wurden die Pferde wieder in das Gebiet der Europäischen Union zurückgebracht, jedoch bei ihrer Rückkehr nach Schweden weder zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet noch den Zollbehörden gestellt.

Bei einer Straßenkontrolle stellte die schwedische Zollbehörde fest, dass Zollpflichten verletzt worden waren. Obwohl keine Einfuhrzölle erhoben wurden, wurde ein Mehrwertsteueranspruch festgestellt. Der Mehrwertsteuerbetrag wurde auf 41 178 SEK (ca. 3 750 EUR) festgesetzt.

Die Rechtssache wurde durch die schwedischen Verwaltungsgerichte bis zum Obersten Verwaltungsgericht Schwedens weitergeleitet, das dem EuGH eine Vorabentscheidung zur Auslegung der Voraussetzungen für eine Mehrwertsteuerbefreiung bei Reimporten vorlegte.


Zentrale Vorlagefrage

Das Gericht wollte wissen, ob Artikel 143 Absatz 1 Buchstabe e der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Artikel 203 und 86 Absatz 6 des Zollkodexes so auszulegen sind, dass sowohl materielle als auch formale Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine Befreiung von Einfuhrabgaben – und damit eine Mehrwertsteuerbefreiung – im Fall eines Reimports zu gewähren, wenn die Zollschuld aufgrund der Nichterfüllung der Verpflichtung zur Gestellung der Waren entstanden ist.


Rechtsgrundlagen – Mehrwertsteuerrichtlinie und Zollkodex

Die rechtliche Grundlage für die Prüfung des EuGH bildeten unter anderem folgende Vorschriften:

Mehrwertsteuerrichtlinie – Artikel 143 Absatz 1 Buchstabe e:
„Die Mitgliedstaaten befreien […] die Wiedereinfuhr von unter eine Zollbefreiung fallenden Gegenständen durch denjenigen, der sie ausgeführt hat, und zwar in dem Zustand, in dem sie ausgeführt wurden.“

Zollkodex der Union – Artikel 203 Absätze 1, 5 und 6:
„Nicht-Unionswaren, die ursprünglich als Unionswaren aus dem Zollgebiet der Union ausgeführt wurden und innerhalb von drei Jahren wieder in dieses Zollgebiet eingeführt und dort zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet werden, werden auf Antrag des Beteiligten von den Einfuhrabgaben befreit.“
„Die Befreiung von den Einfuhrabgaben wird nur gewährt, wenn die Waren sich bei der Wiedereinfuhr in demselben Zustand befinden wie bei der Ausfuhr.“
„Die Befreiung von den Einfuhrabgaben wird durch Informationen untermauert, aus denen hervorgeht, dass die Bedingungen für die Befreiung erfüllt sind.“

Zollkodex der Union – Artikel 86 Absatz 6:
„[…] Befreiung auch in den Fällen, in denen eine Zollschuld nach Artikel 79 […] entstanden ist, sofern der Verstoß, durch den die Zollschuld entstanden ist, kein Täuschungsversuch war.“


Standpunkt des EuGH: guter Glaube darf nicht ignoriert werden

Der Gerichtshof entschied, dass formale Unregelmäßigkeiten – wie das Versäumnis, eine Zollanmeldung abzugeben oder Waren den Behörden vorzulegen – das Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung nicht automatisch ausschließen, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind und das Verhalten des Steuerpflichtigen nicht den Charakter eines vorsätzlichen Missbrauchs hat.

In der Begründung betonte der EuGH die Notwendigkeit, die tatsächlichen Umstände zu prüfen – insbesondere, ob die Waren tatsächlich unverändert in die EU zurückgeführt wurden und ob der Steuerpflichtige versucht hat, das Recht zu umgehen.

Das Urteil steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, die sich auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des guten Glaubens beruft. Erwägungsgrund 38 des Zollkodex lautet:

„Bei einer Zollschuld infolge eines Verstoßes gegen das Zollrecht ist der gute Glaube des Schuldners zu berücksichtigen und die Folgen seiner Nachlässigkeit zu begrenzen.“

In der Praxis bedeutet das: Ein formeller Verstoß allein reicht nicht aus – die Behörde muss vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten nachweisen. Die Beweislast liegt bei der Verwaltung, nicht beim Unternehmen.

Bemerkenswert ist, dass der Gerichtshof die Auffassung der Generalanwältin Juliane Kokott teilte, die betonte, dass Mehrwertsteuerrecht und Zollrecht voneinander unabhängig sind. Ihrer Ansicht nach sollte, da weder ein Verbrauch noch eine Wertsteigerung vorliegt und der Verstoß technischer Natur war und kein Versuch, die Vorschriften zu umgehen, der Verfahrensverstoß allein nicht zum Ausschluss des Anspruchs auf Mehrwertsteuerbefreiung führen.


Praktische Schlussfolgerungen für Unternehmen und Berater

Das Urteil C-125/24 Palmstråle hat konkrete Auswirkungen für alle, die mit grenzüberschreitenden Transaktionen befasst sind – sowohl auf Unternehmensseite als auch bei Steuerberatern und Compliance-Abteilungen.

  1. Mehrwertsteuerbefreiung bei der Wiedereinfuhr ist mehr als nur eine Formalität
  2. Die wichtigste Schlussfolgerung: Ein formaler Fehler schließt die Mehrwertsteuerbefreiung nicht aus, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind und kein Betrugsverdacht besteht.

    In der Praxis bedeutet das:

    • Nicht jeder Verfahrensfehler (z. B. fehlende Anmeldung) führt zu einer Mehrwertsteuerschuld.
    • Entscheidend ist der Nachweis, dass die Ware zuvor ausgeführt wurde und unverändert zurückgekehrt ist.
  3. Bedeutung von Dokumentation und Sorgfaltspflicht
  4. Trotz der günstigen EuGH-Rechtsprechung sollten Unternehmen große Sorgfalt bei der Dokumentation zollrechtlicher Vorgänge walten lassen, insbesondere:

    • Aufbewahrung von Nachweisen über die Ausfuhr und Wiedereinfuhr der Waren (z. B. Frachtbriefe, Warenpässe, Zollabfertigungsbestätigungen).
    • bei Fehlern unverzüglich die Behörden informieren und Korrekturverfahren beantragen (z. B. nachträgliche Anmeldung).

    Obwohl der EuGH den guten Glauben schützt, kann grobe Fahrlässigkeit als Umgehungsversuch angesehen werden, was zum Verlust des Schutzes und der Befreiung führt.

  5. Was sollten Berater beachten?
  6. Das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-125/24 sollte künftig als Referenz bei Steuer- und Zollanalysen dienen.

    Insbesondere:

    • Eine wörtliche Auslegung reicht nicht – bei der Bewertung des Mehrwertsteuerrisikos bei der Wiedereinfuhr ist auch der wirtschaftliche Kontext zu berücksichtigen.
    • Bei formellen Fehlern – z. B. fehlender Zollanmeldung – ist nachzuweisen, dass kein Versuch der Umgehung des Rechts vorliegt.
    • Urteil und Stellungnahme der Generalanwältin können in Streitfällen ein starkes Verteidigungsinstrument sein.

    In der Praxis sollten Berater auch darauf achten, dass die Unterlagen des Kunden bei Wiederimportvorgängen eindeutig seine gute Absicht und die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen für die Mehrwertsteuerbefreiung bestätigen.


Das Urteil des EuGH in der Rechtssache C‑125/24 Palmstråle ist ein klares Signal an Unternehmen und Behörden: Das Steuerrecht muss den wirtschaftlichen Kontext und den guten Glauben des Steuerpflichtigen berücksichtigen und sich nicht ausschließlich auf Formalitäten stützen.

Der Gerichtshof hat eindeutig festgestellt, dass die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen für die Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiung ausreichend sein kann, selbst wenn der Importeur Verfahrensfehler begangen hat – vorausgesetzt, dass diese nicht vorsätzlich waren oder dem Zweck der Umgehung der Vorschriften dienten.

Das Urteil verändert die Perspektive: Die Kontrolle im Bereich der Wiedereinfuhr sollten sich auf den Inhalt der Transaktion konzentrieren und nicht ausschließlich auf die Erfüllung aller formalen Anforderungen.

Für Unternehmen bedeutet dies realen Schutz vor übermäßiger Fiskalisierung. Für Behörden ist es eine Erinnerung daran, dass Steuern der gerechten Besteuerung tatsächlicher Vorgänge dienen sollten und nicht der Bestrafung für Verfahrensfehler.


Rechtsgrundlage:

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